Wir sind gleich Freunde geworden. So unterschiedlich waren wir beide, daß wir sofort errieten, wie nötig der eine den anderen habe und daß wir gemeinsam den vollkommenen Menschen darstellten.
Ich – grobbehauen, wortkarg, mit der rauhen Schale des einfachen Mannes aus dem Volk; mit vielen Fragen und metaphysischen Bedrängnissen, der sich nicht von der glänzenden Oberfläche betrügen oder beirren ließ, der hinter der schönen Larve den Schädel erblickte – war keineswegs naiv, war ohne Sicherheit und nicht als Prinz geboren, bemühte mich aber, einer zu werden. Er, heiter, redegewandt, sicher, von edlem.
Aussehen, mit dem naiven und kraftspendenden Glauben, daß er unsterblich sei; und überzeugt, als Prinz geboren zu sein, so daß er sich nicht abmühen mußte, einer zu werden;
auch brauchte er sich nicht nach dem Gipfel zu sehnen, da er überzeugt war, sich bereits auf dem Gipfel zu befinden, einzigartig, unersetzlich zu sein·
Er duldete keinen Vergleich mit irgendeinem Genius der Vergangenheit oder der Gegenwart. Und diese Naivität verlieh ihm großes Selbstvertrauen und Überzeugungskraft.
[...]
Später, als ich ihn besser kannte, sagte ich ihm eines Tages:
- „Der große Unterschied zwischen uns beiden, Angelos, ist, daß du glaubst, bereits erlöst zu sein, während ich glaube,
daß es keine Erlösung gibt, und darin die Erlösung finde.“
[...]
Kazantzakis, Nikos. Rechenschaft vor El Greco.
Berlin-Gruenewald: F.A. Herbig, 1967, S. 195.