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LAWRENCE DURRELL
REZENSION ÜBER NIKOS KAZANTZAKIS' ROMAN FREIHEIT ODER TOD
Kazantzakis taucht eher spät aus der relativen Unbekanntheit der neugriechischen Volkssprache [Demotiki] auf, um den Platz einzunehmen, der ihm als Künstler europäischen Ranges zusteht. Sein letzter Roman wird seine Stellung als größter lebender Novellist des Mittelmeerraums bestätigen. Die Novelle spielt in seiner Heimat, Kreta, während der türkischen Herrschaft, und die Hauptfigur, Kapitän Michalis, verkörpert den heldenhaften Anführer des griechischen Befreiungskriegs. Die Handlung spielt auf einen groß angelegten Hintergrund, voll mit Schauspielern und brillant geschilderten Details. Sie entfaltet sich auf die imposante, altmodische Weise, die für große Schriftsteller wie Tolstoi oder Victor Hugo typisch ist. Sie nimmt sich Zeit und ihre Werte sind nie explizit. Das Handeln selbst bringt sie zum Ausdruck.
Und was Freiheit und Tod angeht, diese zwei Extreme werden durch die Hauptfigur, Kapitän Michalis, abgehandelt, der im Denken und Handeln diese kaum fassbare Eigenschaft verkörpert, die die Griechen "Filotimo" nennen, und die eher blass als "patriotische Selbstachtung" oder "amour-propre" sich übersetzen lässt. Dieses Wort übertrifft beide Übersetzungen an Radikalität. Man kann es mit einer Art Docht vergleichen, der in der Seele der Griechen eingepflanzt ist, und der sie dazu bringen kann, sowohl für die Ehre als auch für die Scham mit gleicher Leichtigkeit zu sterben. Es ist für den Donquichottismus und die Absurditäten verantwortlich, die die Griechen manchmal größer als das Leben in unseren Augen erscheinen lassen, und oft sogar viel unangenehmer. Ich nehme an, es gehört der derzeit überholten Epoche der Ritterlichkeit an und erinnert einen an die furchtbare Bemerkung von Stendhal: "Der Geist der Poesie ist tot; dafür ist der Geist des Misstrauens in die Welt gedrungen."
Kapitän Michalis ist von großem Eifer erfüllt, seine Heimatinsel zu befreien. Doch sein "Filotimo" bringt ihn dazu, Blutsbrüderschaft mit einem türkischen Bei zu schließen, den er liebt. Sie mischen ihr Blut mit ihren Messern in einer Schale und schwören dabei im Namen von Mohammed und Christus…
Diese romantischen Widerstandshelden haben vor der Zeit des Misstrauens gelebt. Man müsste auf Malory zurückgehen, um passende Parallelen zu finden. Byron war fasziniert von deren hemmungsloser Ritterlichkeit, deren grenzenlosem Selbstvertrauen, das von jeder Spur von Eigennutz befreit war. Sie waren emanzipierte Menschen, da ihr Moralkodex keinerlei Zweifel enthielt. Ihr Leben war von ungezügelten Impulsen bestimmt, von einer Leidenschaft, die durch das Ethos des Vaterlandes und des Glaubens zu Vernunft wurde. "Es gibt Völker und Menschen", schreibt Kazantzakis, "die zu Gott mit Gebet und Tränen rufen oder in zuchtvoller, vernünftiger Selbstbeherrschung oder ihn auch lästern. Die Kreter riefen zu ihm mit dem Gewehr. Sie standen vor Gottes Tor und gaben Flintenschüsse ab, damit er sie höre. ‚Aufstand' brüllte der Sultan, der die Schießerei als erster hörte, und schickte in rasender Wut Paschas, Soldaten und Banden. ‚Frechheit', riefen die Franken und ließen ihre Stahlpanzer los […]. ‚Geduld, Vernunft, zieht mich in kein Blutvergießen!' flehte die Bettelmutter Hellas und zitterte. ‚Freiheit oder Tod!' antworteten die Kreter und lärmten vor Gottes Tür."*
Ich habe erfahren, dass die Hauptfiguren dieser Novelle aus dem Leben gegriffen sind, nach dem Vorbild von Kazantzakis' eigenen Vorfahren gestaltet und aus eigenen Kindheitserinnerungen geschöpft; sie sind ohne Zweifel von einer mitreißenden Lebendigkeit durchdrungen. Nicht weniger lebendig wirkt auch die lichtdurchflutete, hervorragende kretische Landschaft – so prächtig, wie die Schleppe eines Pfaus. Doch das Schreiben weist überhaupt keine Merkmale gekünstelter Poesie auf. Es ist wohl nur auf äußerst direkte Beobachtung und schlichte Schilderung gestützt.
All dies möge den Eindruck erwecken, dass Kazantzakis ein Schriftsteller war, dem es an Kultiviertheit fehlte – eine Art inspirierter Hufschmied aus dem Dorf. Das trifft aber nicht zu. Er gehört der kleinen gehobenen Gesellschaft von Athen an, spricht mindestens zwei europäische Sprachen fließend, und ist viel in der Welt herumgekommen. Seine europäischen Reisetagebücher offenbaren ein Temperament, das wissbegierig und besinnlich zugleich ist. Sein spanisches Tagebuch erinnert ein wenig an Kayserling, was die Anerkennung moralischer und ästhetischer Werte angeht. Dies macht seinen Triumph in Freiheit oder Tod noch größer, da er uns ein Bild von Kreta aus den 1860ern vermittelt, nicht im belehrenden Tonfall eines moralisierenden Philosophen, sondern als Kreter, der zu einem Kreter spricht. Dabei halfen ihm womöglich zwei Faktoren: Erstens sind die Werte der Kreter heute fast gleich geblieben, wie sie zu Zeiten des Romans waren; auf Kreta hat sich bis heute wenig geändert. Zweitens steckt die griechische Sprache noch in den Anfängen, und jeder Schriftsteller muss sie dann selektiv und gemäß seinen eigenen Absichten verwenden. Der kretische Dialekt ist besonders reich und robust, und dessen gekonnte und selektive Verwendung verleiht der Novelle eine raue Oberfläche sowie eine textbezogene Originalität, ohne sie aber zu einem Walter-Scott-Essay über die Ritterlichkeit zu machen. Für interessierte Leser wäre empfehlenswert, diesen Roman mit den in Ichform verfassten Berichten der Widerstandskämpfer aus der Zeit zu vergleichen. Man stellt dabei fest, dass der Roman die gleiche Auswirkung auf einen hat, wie z.B. das Tagebuch von Kolokotronis dem Klephten, die Aufzeichnungen von Makrygiannis oder das Tagebuch von Psychoundakis, um eine Neuerscheinung zu nennen. Freiheit oder Tod lässt sich perfekt unter diese Bücher einordnen, die von Hirten und Schafdieben verfasst worden sind. Doch, im Gegenteil zu denen, ist dieser Roman ein bewusst angefertigtes Kunstwerk eines zeitgenössischen Meisters und, vielmehr, eines Dichters. Der Triumph von Kazantzakis wird dadurch noch größer, da Freiheit oder Tod – trotz dessen einfachen Aufbaus – in den Händen eines Geringeren zu einem mit klimpernder Ritterrüstung beladenen Kostümfilm geworden wäre. Genau diese fehlende Raffiniertheit – im europäischen Sinn des Wortes – ist das, was dem Roman Frische und Lebhaftigkeit verleiht. Er hat die abrupte Ökonomie, den brutalen Charme einer antiken Chronik. Und sein Rhythmus erinnert uns an die imposanten traditionellen Tänze von Kreta, die bis heute erhalten bleiben.
* Zitat aus dem Roman Freiheit oder Tod (Übersetzt von Helmut von den Steinen, Efstathiadis Group: 1995, S. 61)