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BRIEFE AN GALATEA
Das Ekzem. Erste Kontakte zu den deutschen Kommunisten
IX Wien, Alserstr. 26 I, 7. Juni
Cherie, die große Freude, Briefe von Dir in der Fremde zu erhalten, ist wieder da. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als ich heute Deinen ersten Brief erhielt! Gott, wie froh ich war! Wegen Dir verschwand jegliches Beklemmungsgefühl. Ich lag auf einer Chaiselongue, mein Gesicht mit Verbänden gewickelt, und hielt eine Kalt-Kompresse aus Kautschuk an meiner Stirn. Das Ekzem ist nämlich weg von den Lippen und dem Kinn und ist hoch zum Augenbereich und zur Stirn gestiegen. Seit Wochen bin ich nicht ausgegangen. Nur vorgestern, als ich gedacht habe, dass ich es los bin, bin ich zum Vortrag von Steiner, dem berühmten Theosophen, gegangen (derzeit findet in Wien die große Theosophie-Konferenz statt). Aber als ich nach Hause kam, waren meine Augen angeschwollen und ich rief nochmals den Arzt, der mir sagte, dass es nichts war, und dass ich Ruhe, Kalt-Kompressen etc. brauche.
Mit Deinem Brief hast Du mir eine große Freude in meiner Krankheit gemacht. Niemand kümmert sich hier um mich, ich mache meine Umschläge selbst (Du kannst Dir wohl vorstellen, mit welcher Geschicktheit), ich stehe Tag und Nacht alleine auf, um die Salben erneut aufzutragen etc. Ich werde aber nicht nervös, ich halte es mit Ruhe aus, und lese, was ich kann. Ich habe jemanden gefunden, der mich mit den hiesigen Kommunisten in Kontakt bringen soll. Ihre Reaktion darauf war, dass sie mich vorerst testen müssen und deswegen wird ihr Sekretär mich besuchen, um mit mir zu sprechen. Ich hoffe auf einen baldigen politischen Umsturz hier. Man kann sich nicht vorstellen, wie grausam hier die Lage ist. Hunger und Ehrlosigkeit auf der einen Seite, und auf der anderen, durch und durch verkommene Menschen aus aller Welt, die sich ausleben und mit unvorstellbarem Zynismus alles schänden. Es ist viel los in der Musikszene, Tänze, Kunstausstellungen, und parallel dazu, Kundgebungen, minderjährige Jungen und Mädchen, die in den Fabriken arbeiten – gestern sind sie unter meinem Fenster vorbeigegangen und haben dabei die Internationale gesungen.
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