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BRIEFE AN GALATEA
Über den Weg zum Kommunismus (Ι)
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Cherie, ich bin gerade von einer großen Kundgebung der Kommunisten zurückgekommen, die auf einem großen Platz in Berlin stattgefunden hat. Es war vor dem Schloss, Tausende von Menschen hatten sich dort versammelt, der Platz war voll von roten Fahnen, die Standbilder der alten Hohenzollern waren mit roten Fahnen, Hämmern und Sicheln beschmückt. Die Mütter trugen ihre kleinen Kinder auf den Schultern, damit dieses Spektakel in ihrem Gedächtnis haften bleibt. Viele Redner, bekannte Parolen, die Menschenmenge hörte sich die uralte Rhetorik zwei-drei Stunden lang an und löste sich dann auf.
Ich war mit einem deutschen kommunistischen Intellektuellen zusammen, der so angezogen war, wie es hier bei den kommunistischen Intellektuellen – Studenten, Lehrern, Gelehrten – üblich ist: zugeknöpftes peau de diable Jackett, offener – oft bunter – Kragen, kein Hut, kurze Hose, kniehohe Strümpfe mit dicken Schuhen oder Sandalen. Ich erzählte ihm, wie alt und seelenlos diese Art der Kundgebungen mir scheint. Diese kommunistischen Kundgebungen und Veranstaltungen müssen eine neue Form annehmen. Diese Kundgebungen sind heute, wie früher die religiösen Prozessionen waren. Wie organisierte die Kirche diese Prozessionen? Auf den Straßen entfaltete sich eine einheitliche, dramatische Handlung: Es waren die Chöre – der eine redete, der andere antwortete; der Bischof stellte die sichtbare Einheit dar; sie hielten an den Kreuzungen an, flehten Gott an, die Menschenmenge blieb still, und brach dann plötzlich in Anrufungen, Androhungen, Hoffnungen aus.
Wir müssen nicht das gleiche machen, aber diese Prozessionen können als Ausgangspunkt für uns dienen. Der Enthusiasmus, der Hass, die Macht des Proletariats, wenn es auf die Straßen strömt und Kundgebungen oder Proteste abhält, müssen nach modernen Vorbildern organisiert werden.
Und diese Vorbilder sollen für jede Nation unterschiedlich sein. Was haben die Deutschen im Mittelalter gemacht, als sie sich auf einen Kreuzzug begaben oder als sie über Generationen hinweg gegen den Feudalismus kämpften? So werden wir an eine moderne, rein deutsche Form einer Massenkundgebung gelangen [..]
Mein Freund stimmte mir zwar zu, erwiderte aber, dass entweder es an großen Persönlichkeiten, die den unterbewussten Wunsch der Massen wahrnehmen, mangelt oder dass dieses Unterbewusstsein noch nicht stark genug ist, damit es sich über bestimmte Persönlichkeiten durchsetzen und in soliden Formen formuliert werden kann.
Dieser Freund von mir sowie ein paar andere und ich, wir arbeiten gerade systematisch an der Gründung eines internationalen Bundes zur Aufklärung der Massen mithilfe von Büchern, Vorträgen, Propaganda etc. Diese Genossen bestehen vor allem auf die Bildung eines Kaders von Intellektuellen, die philosophischen, künstlerischen etc. Fragen aus kommunistischer, marxistischer Sicht nachgehen sollen. Ich bestehe darauf, dass es notwendig ist, dass wir auf diesen mentalen Luxus zurzeit verzichten und uns darauf konzentrieren, wie wir 1) die Massen generell, 2) die Arbeiter speziell, 3) die Kinder ansprechen sollen.
Ein anderes Mal werde ich Dir mehr schreiben.
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